Am Morgen lassen wir es etwas ruhiger angehen, schließlich wollen wir ja erst gegen 9.00 Uhr starten. (Im Zelt sind minus 17°C, die Pinkelflasche ist hartes Eis und die Thermoskanne ist zugefroren, unangenehme Nebenerscheinungen am Berg.) Also frühstücken wir gemütlich und ziehen uns an. Ich trage: 2 Paar lange Strümpfe, lange Skiunterhosen, Fleecehose und Daunenhose, ein kurzes Funktionsshirt, langes Skihemd, langes Thermounterhemd, langes Fleeceshirt, Softshelljacke, und Daunenjacke, dazu Daunenfauster und schwere Bergstiefel. Auch die Rucksäcke haben ein stolzes Gewicht. Wir müssen außer Verpflegung und Wechselhandschuhen auch noch Kocher, Gas, die ganze Sicherheitsausrüstung, Schlafsack und Isomatte mitschleppen.
Als wir losgehen sind es erträgliche minus 24°C. Wir queren eine kleine Senke unterhalb von Camp 4, dann beginnt die Kletterei hoch zur „Autobahn“, einer langen Traverse. Hier mühen sich die Australier, die eine Stunde vor uns losgezogen sind. Sie haben Probleme mit dem Hang. Als wir überholen, verliert gerade einer von ihnen ein Steigeisen. Später wird einer aus der Gruppe abstürzen und die anderen mit in die Tiefe reißen. Alle bleiben an einem einzigen Sicherungshaken hängen und die große Katastrophe bleibt zum Glück aus, aber sie werden aufgeben und umkehren.
In der Mitte der „Autobahn“ kommt die Sonne raus und wärmt so stark, dass ich an einer günstigen Stelle meine Daunenjacke in meinem Rucksack verstaue. Nur 10 Minuten später ziehen Wolken vor die Sonne und feiner Schnee treibt den Berg herunter. Leider komme ich jetzt nicht gleich an mein warmes Kleidungsstück und muss fast eine halbe Stunde bibbernd weitermarschieren, ehe ich mich wieder anziehen kann.
Als wir den Denali - Pass erreichen, bricht die Hölle los. Schlagartig stehen wir im Schneesturm mit Orkanstärke. Hält man sich nicht mit den Händen fest, reißen die Böen einen aus der Wand. Mein Thermometer zeigt minus 37°C. Das Gelände wird wieder steiler. Wir halten uns dicht an den Felsen, um nicht die Orientierung zuverlieren. Einmal rasten wir im Windschatten und melden uns per Funk im Tal, geben unsere Position und die Wetterverhältnisse durch. Robert schimpft nur noch vor sich hin: Was für eine beschissene Idee heute hier hoch zu gehen.
Schon jetzt überzieht eine Eiskruste mein Gesicht. Zum Sturm kommt jetzt noch schlechter werdende Sicht. Immer wieder drohen wir den Weg zu verlieren. Richtig böse wird es oben auf dem Footballfield, einer riesigen monotonen Schneefläche ohne Orientierungspunkt. Da ist es nur logisch, dass wir den Einstieg zum Pig Hill, dem letzten Steilhang vor dem Gipfelgrat, nicht zu finden.
Hier rasten wir ein letztes Mal, trinken Tee und essen einen Riegel. Wie auf Bestellung treiben für wenige Sekunden die Wolken auseinander und geben den Blick hinauf zum Gipfel frei. Es ist nicht mehr weit. Unsere Last wird gesichert und bleibt bis zum Abstieg hier. Viel leichter machen wir uns an den letzten Abschnitt. Vorsichtig balancierend bahnen wir uns den Weg über die bizarren Verwehungen am Gipfelgrat. Zu beiden Seiten fallen die Flanken fast 3000m steil ab. Dreißig Minuten brauchen wir bis hoch.
13.30 Uhr marschieren wir völlig überladen los. Jetzt geht Robert voraus und spurt. Das Wetter wird immer schlechter. Ab Windycorner setzt dickes Schneetreiben ein. Im totalen White-Out verlieren wir immer wieder den Weg. Oft kann ich Durny, der 20 m vor mir geht nicht mehr sehen. Jetzt wird’s echt saugefährlich. Dann zieht das Seil zwischen uns schlagartig an – Durny ist in eine Spalte eingebrochen. Fürs Erste kann ich mich nur mit aller Kraft nach hinten drücken und schauen, wie er klarkommt. Glücklicherweise schafft mein Kamerad es allein, sich aus der misslichen Lage zubefreien und aus der Spalte herauszuklettern.
Eine weitere Stunde irren wir über das „Polofield“, finden den Abstieg nicht. Geraten wir zu weit nach links, stürzen wir ins Spaltenlabyrinth, zu weit rechts droht der 500 m tiefe Absturz auf den Petersgletscher. Endlich kippt der Hang rechts von einem Felsband steil nach unten, wir sind am „Sqirril-Hill“. Der mittlerweile hüfttiefe schwere Neuschnee macht ein Vorankommen mühsam und erhöht die Lawinengefahr. Aber was sollen wir tun? Hier können wir nicht bleiben. Ach den „Motorsycle-Hill“ müssen wir noch runter. Hier bricht Durny ein zweites Mal in eine Spalte ein, kann sich aber wieder selbst befreien.
Im Camp 2 angekommen, können wir endlich unseren Blindflug beenden. Im Schneesturm bauen wir unser kleines Zelt auf, bekommen Tee von einer befreundeten Gruppe, die hier schon rastet und verziehen uns in unsere frisch errichtete Behausung. Der Sturm nimmt weiter an Stärke zu, zerrt unablässig an den Zeltwänden. Irgendwann siegt die Müdigkeit und wir fallen in einen tiefen Schlaf.
Morgens gegen sieben wache ich auf. Es ist so ruhig! Sollte sich der Sturm gelegt haben? Es braucht einige Momente, bis ich realisiere: Wir sind komplett eingeschneit! Harter Schnee drückt die Zeltwände nach innen, die dünnen Stangen drohen zu brechen. Gerade einmal 20x50 cm unserer Behausung schauen oben aus dem Schnee. Wenn jetzt die erste Stange nachgibt, sind wir lebendig begraben.
Ich wecke Robert, wir benötigen eine Stunde, um uns auszugraben. Der Wind heult unvermindert stark. Ein ausgewachsener Denalisturm hat uns voll erwischt, er wird 24 Stunden andauern. Wir können nichts machen, außer warten. Zum Glück sind wir nicht mehr in den oberen Lagern.
Ab Mittag lässt der Sturm nach. Kathleen, die mit den Australiern am Polofield notbiwakieren musste, will Nachmittag zu uns absteigen. Gemeinsam wollen wir zum Basislager rauslaufen. Bis 19.00 Uhr müssen wir allerdings noch warten, bis wir unser Zelt abbauen können. Nun soll es zurück in die Zivilisation gehen.
Leider können wir die Sonne nicht lange genießen. Schon nach dem ersten steilen Hang geht es erneut in die tief hängenden Wolken. Wir gehen nur wenige Schritte in die „dicke Suppe“ und verlieren völlig die Orientierung. Ich habe das Gefühl maximal nur 10 Meter weit zu sehen, als uns die Australier einholen, sind es aber tatsächlich fast 100! Es weht kein Windhauch, Raum und Zeit gehen mir verloren, selbst oben und unten sind schwer auseinanderzuhalten, echt gruselig. Den anderen Kameraden geht es genauso. Eine Stunde irren wir so umher, suchen nach dem Weg und versuchen nicht in eine der vielen Spalten zu fallen.
Erst kurz vor dem Skihill bessert sich die Sicht, die Erleichterung ist groß. Auf dem unteren Gletscher hüllt uns dann wieder dicker Nebel ein. Hier folgen wir allerdings einer gut sichtbaren Spur bis zum Heartbreakhill. Den mühen wir uns eine ganze Stunde hoch. Mit all dem Gepäck und nach der schweren Expedition, eine echte Schinderei.
Nach acht Stunden sind wir endlich um 6 Uhr im Basislager. Da noch genug Zeit ist, baue ich schnell das Zelt auf und lege mich für ein kleines Nickerchen hin. Gerade als ich weggedämmert bin, kommt Robert mit einem Bier für mich. Ich bedanke mich freundlich und rolle mich wieder in meinen Schlafsack. Als ich gerade wieder süß träume, weckt er mich erneut und verkündet, dass der Flieger gleich landet. Dabei dachte ich es sind noch zwei Stunden Zeit.
Der Rückflug ist sehr unruhig. Bodensicht gibt es leider keine. Erst im Landeanflug zeigt sich die atemberaubende Landschaft.
Frühstück gibt es im Roadhouse in Talkeetna. Toll, echten Kaffee und richtig gutes Essen. Nach ein paar Besorgungen geht es im Kleinbus zurück nach Anchorage in unser altes Hotel. Nach dem Beziehen der Zimmer kommt das Beste: ein langes entspanntes heißes Bad. Endlich wieder sauber zu sein, fühlt sich sooo gut an.
Damit ist die Expedition zu Ende, nicht aber die aufregenden Erlebnisse in Alaska.