Gleich zum Frühstück gibt es Neuigkeiten: Mein Gepäck ist mit dem Tourveranstalter „Himalayan Extecy“ unterwegs nach Tingri, soll morgen oder übermorgen hier ankommen. Nur, und das kenne ich ja schon, bin ich da nicht mehr hier.
Gas sollen wir auch bekommen. Irgendwer, der durch die Straßenkontrollen darf, soll es angeblich holen. Für mich ist da zu vieles unklar.
Für heute haben wir als Akklimatisationstour die Besteigung eines ortsnahen Hügel vorgenommen. Bei strahlendem Sonnenschein marschieren wir zuerst die langen gerade Dorfstraße raus, durch die Ebene und steigen auf schmalen Ziegenpfaden die ersten Hügel hoch. Auf halber Strecke attackiert uns ein Hütehund. Nur ein einziger geworfener Stein vertreibt ihn, das habe ich in Kurdistan gelernt.
Ohne Probleme erreichen wir den 4880m hohen mit Gebetsfahnen geschmückten Gipfel. Schon hier sind wir höher als die größten Erhebungen der Alpen, und das in Turnschuhen und T-Shirt! Das tolle Wetter und die klare Luft gönnen uns einen genialen Rundblick von Everest und Cho Oyu über viele weitere Eisriesen bis hin zu den weiten Ebenen und braunen Bergen des tibetischen Hochlandes.
Nach einer guten Stunde steigen wir wieder ab, müssen ja zum Mittagessen zurück im Hotel sein. Den Rest des Tages verbringen wir bummelnd in Tingri, fotografieren viel und kaufen einige nützliche Dinge oder Mitbringsel.
Den weiteren Abend verbringen wir wieder in einem kleinen Teehaus. Die Wirtin hat Zahnweh und bittet uns um Hilfe. Wir geben ihr einige Tabletten und versuchen zu erklären, sie muss trotzdem zum Arzt. Von unserem Plan, den „Störenfried“ gleich mit dem Leatherman zu ziehen, sehen wir ab.
An diesem Abend bekam ich meinen ersten Milchtee, typisch und traditionell für die Gegend und einfach lecker.
Heute Morgen bedeckt eine Eisschicht unsere Autos. Nach dem gewohnt guten Frühstück fahren wir durch die ewig weite Hochebene Richtung Basislager, hier meist „Chinesisches BC“ genannt. Auf einem Untergrund aus Schwemmsand bringen wir es anfangs auf eine Höchstgeschwindigkeit von 40km/h. Der Wagen vor uns verschwindet in seiner Staubwolke. Später werden die Fahrer mutiger und triften mit 80 Sachen durch die Kurven, mein Sohn wäre begeistert.
Die Zeit bis zum Essen nutze ich für einen Ausflug am chinesischen Stützpunkt vorbei bis auf einen 5050m hohen Hügel. Hier leben Unmengen Pfeifhasen, auch Feldhasen schrecke ich auf. Vögel gibt es vom winzigen Singvogel bis hin zum Adler in allen Varianten.
Zum Essen bin ich wieder im Lager und erfahre, dass wir auf keinen Fall in die Nähe des chinesischen Stützpunktes dürfen. Ich muss schmunzel und verhalte mich still.
Nach dem Mittag habe ich mehr Zeit, umgehe die Chinesen im großen Bogen und ersteige einen niedlichen 5300m Gipfel. Unterwegs gibt es wunderbare Sandsteinformationen und wieder besagte Vielfalt an Tieren zu entdecken. Oben baue ich an den schon vorhandenen Steinmännern weiter und kann sogar eine SMS nach Hause absetzen.
Ich gehe weiter über einen sanften Gratrücken bis zum nahen 5428m hohen Plateau. Zurück im BC kann ich noch schnell Strümpfe und Füße waschen, bevor es nach Sonnenuntergang empfindlich kalt wird. Alle ziehen sich dick an, einige sogar die Daunenjacke.
Wir lassen den Abend im Teehaus (Zelt) ausklingen. Das Bier gibt es aus Schnapsgläsern, mein Teeglas ist auch kaum größer, so muss der Wirt pausenlos nachschenken. Geheizt wird mit Yakdung. Um mit Qualm und Geruch fertig zu werden, bleibt die Tür offen – ein Teufelskreis.
Die erste Nacht im BC bringt Frost und Eis auf allen Zelten. Als uns die Sonne endlich erreicht werden es schnell kuschlige 7°C – angenehm. Nach einem ausgiebigen Frühstück müssen wir Sachen packen und sortieren. Einiges Wichtiges bleibt im Tagesrucksack, der Gr0ßteil der Ausrüstung sonn mit Yaks ins nächste Lager transportiert werden. Die Säcke werden gewogen, weil alles nach Gewicht bezahlt wird.
Meine Sachen sollen heute angeblich in Tingri angekommen und morgen im BC – so Gott will …
Schon zum Mittag sind wir wieder unten. Danach nutzt jeder die wärmende Sonne und besucht das Duschzelt, schließlich ist ja auch Sonntag. Nachmittags quellen mehr und mehr Wolken das Tal herauf und der Wind wird stärker bis hin zum Sandsturm. Als gegen 17.00 Uhr die Sonne weg ist, wird es binnen Minuten empfindlich kalt.
Die ankommenden Yaks stehen hinter unserem Lager, schnaufen und grunzen. Der Rauch der Feuer der Yaktreiber zieht durch unsere Zelte, wird wohl eine unruhige Nacht.
Abends sitzen wir wieder nebenan im Teehaus-Zelt, auf den einen oder anderen „sweet milk tea“.
Vor dem Schlafengehen stehe ich noch lange vor meinem Zelt und bestaune den jetzt wieder klaren Sternenhimmel. Noch nirgends konnte ich den so leuchtend wahrnehmen wie auf so hohen Bergen.
Heute ist zeitiges Aufstehen angesagt, der Marsch ins Zwischenlager steht an. So packen wir also den Rest unseres Nachtlagers ein, bauen die Zelte ab und gehen frühstücken. Laut Dorje soll meine Ausrüstung heute gegen Mittag oder danach hier ankommen. Das Problem ist, hier in Süd- und Ostasien reden alle viel, sagen das, was man gerne hören möchte. Leider hat das dann nicht immer etwas mit der Realität zu tun.
Während meine Kameraden losmarschieren, warte ich mit Dan im BC. Wie unsere 1,5 Tonnen Gepäck transportiert werden, ist auch noch unklar. Die Yaks sind mit den Sachen einer anderen Expedition losgezogen. Gegen Mittag findet sich dann ein LKW, der diese Aufgabe übernimmt.
Weil abzusehen ist, dass meine Sachen wieder nicht ankommen, fahren wir mit diesem, in das 5280m hohe Zwischenlager.
Die holprige Piste und das riesige Lenkspiel des Lasters erlauben gerade einmal 30 km/h – aber besser als gelaufen. Im Lager gibt es schlechte Neuigkeiten: Am Cho Oyu liegt überdurchschnittlich viel Schnee. Eine Expedition ist heute schon wieder abgereist. Das kenne ich doch vom Vorjahr am Baruntse.
Nach dem Mittag gehe ich noch einmal allein klettern. In 5620m erlebe ich einen wunderschönen Sonnenuntergang. Eine SMS nach Hause kann ich leider nicht mehr absenden – kein Netz. Das wird bis Tag 31 so bleiben.
Jetzt wird es zusehens dunkler uns ich habe meine Stirnlampe vergessen. Ich steige im Laufschritt ab, steuere auf ein im Tal blickendes Licht zu. Irgendwann sagt mir mein Höhenmesser, ich bin zu tief – ich habe mich verlaufen, im dunklen mir unbekannten Gebiet. Das ist nicht gut! Ich klettere wieder einen Grat hoch, quere zwei kleine Täler und einen Fluss. Hier muss ich richtig sein! Auf der nächsten Anhöhe sehe ich ein beleuchtetes gelbes Zelt – super! Nun Steige ich den letzen Abhang runter und stehe vor dem Lager. Nur ist das dicht an dicht mit Yaks „eingezäunt“ da muss man erst einmal einen Durchschlupf finden. James sieht mich als Erster. Bei ihm heiße ich ab sofort m.i.a. (missing in action). Die beiden Sherpas haben mich schon gesucht und von Dan gab`s einen riesen Rüffel. Das Abendessen habe ich verpasst, so esse ich im Küchenzelt noch etwas.
Jetzt können wir frühstücken. Nach dem Essen geschieht das Unglaubliche, meine beiden Seesäcke sind da! Ein Tibeter fuhr mit dem Motorrad zurück nach Tingri und hat sie geholt. Kostet mich schlappe 100€. Dazu kommt der Tarnsport von Kathmandu bis Tingri und die nachgekauften Sachen. War nicht ganz billig – danke noch einmal Berlin Tegel.
Wir marschieren nicht weit, bis wir vom chinesischen Kontrollposten inspiziert werden und die Pässe zeigen müssen. Weiter geht es auf schmaler werdenden Wegen. Am Beginn des Langpa La rasten wir und warten auf die 12 Yaks mit unserem Gepäck. Hier werden auch die Lastengurte der Tiere nachgezogen, was nicht jedem gefällt. Eines der Zottelviecher springt bockend wie beim Rodeo herum, alle bringen sich in Sicherheit und eins der Gepäckstücke fliegt echt im hohen Bogen weg. Es ist ein roter Seesack, klar meiner.
Wir steigen nun die alte Seitenmoräne des Gletschers hoch und bleiben auf deren Kamm, bis das Gelände blockig wird. Die ersten Zelte tauchen auf, wir haben das ABC (vorgeschobenes Basislager) erreicht. Etliche Expeditionen haben sich schon niedergelassen. Wir schlagen unser Lager ziemlich weit oben als vorletzte vor dem riesigen Camp der Chinesen auf etwa 5700m auf.
Kurz vor 16.00 Uhr sind wir fertig und Chimi bringt erst heißen Mangosaft, dann Nudelsuppe.
Bis zum Abendessen ruhen wir uns in den Zelten aus, dösen ein wenig.
Dan hat im Netz meinen Spitznamen rausbekommen und findet es cool, mich ab jetzt „Lander“ zu nennen.
Abends im Messzelt bin ich froh, endlich meine Daunenjacke zu haben.