Letzte Nacht konnte ich kaum schlafen. Ist das etwa die Höhe? Nach dem Frühstück sortiere ich den Rest meiner Sachen im Zelt, versuche eine gewisse Ordnung rein zu bringen. Dabei verpasse ich fast das Sicherheitsbriefing und den Check der Kletterausrüstung. Alle lassen sich nervös ihre Sachen richten. Ich beobachte die Szenerie aus einiger Entfernung. Das sollte doch eigentlich jeder selbst können!?
Unser Messzelt hat jetzt ein doppeltes Dach und eine Schaummatte als Boden zur besseren Wärmedämmung bekommen.
Nach dem Mittagessen haben wir Freizeit, lesen, quatschen, hängen rum. Der Körper braucht Zeit, sich an die Höhe zu gewöhnen.
Ab 20.00 Uhr fällt schwerer Schnee. Bis 3.00 Uhr morgens müssen wir alle 10 Minuten die Zelte abklopfen, um ein Eindrücken zu verhindern.
Den Vormittag nutzen wir zum Eistraining. Wir suchen uns einen Weg durch das Labyrinth des Gletschers bis hin zu einem 15m hohen Eisberg. Erst steigen wir einen scharfen 45° steilen Grat hoch, um an der steilsten Stelle wieder abzuseilen. Im Anschluss pickeln wir eben diesen steilen Abbruch wieder hoch. Technisch ist das nicht sehr schwierig. Die 5700m Seehöhe allerdings merkt man schon deutlicher.
Später laufen Dan, Jan-Jilles und ich im Schneesturm etwa 30 Minuten talabwärts, bis wir eine Stelle finden, an der Dan`s Internetstik ein Signal einfängt. Hier ist ab sofort unser „Internet-Café“. Wir checken Mails und schicken Bilder und Berichte nach Hause. Die Verbindung ist sehr langsam und so kommen wir zu spät zurück ins Camp.
Abendessen gibt es aber trotzdem im vollen Umfang und gewohnt guter Qualität.
Wir befragen Jangbu nach dem Wetterbericht. Antwort: „Jetzt ist es OK –wie es morgen wird weiß ich nicht“.
Heute habe ich wieder ganz aufgeregt in meinem Buch „Totgesagt“ von Lincoln Hall gelesen. Mein Expeditionsleiter Dan und der Sirdar (Obersherpa) Jangbu fanden im Aufstieg zum Gipfel des Everest 2006 auf über 8000m den am Vortag Totgeglaubten, brachen den Gipfelversuch ab und leiteten die Rettungsaktion ein. In solchen Passagen ist es fast unmöglich, das Buch wegzulegen.
Beide waren so nett, mir das Buch zu signieren.
Für heute hatten wir den ersten Aufstieg am Berg geplant. Aus genau dem Grund findet am Morgen die große Puja statt. Das ist eine religiöse Zeremonie zur Besänftigung der Götter am Berg, ohne die kein Sherpa auch nur einen Fuß auf die Hänge des Himalaya setzen würde.
Schon mit dem ersten Licht beginnen die Vorbereitungen. Ang Pasang schmückt den Chörten. Das ist ein meist kunstvoll aufgesetzter Turm aus Steinen, der den Berg symbolisiert. Oben darauf steht eine Fahne. Von deren Stab werden Schnüre mit Gebetsfahnen in alle Richtungen gespannt. Der Chörten selbst wird mit buten Tüchern und Girlanden behängt. Auf den Simsen stehen allerlei Opfergaben, Butter, Reis, Mehl, Backwerk und Getränke. Ich selbst opfere einen Schokoriegel und einige Rupie.
Am Sockel des Turms positionieren wir einige Ausrüstung wie Bergstiefel, Steigeisen und Pickel. Auf alles kommt ein Klecks Yakbutter. Während der Zeremonie wird die Ausrüstung gesegnet und um Glück geben.
Erstaunt bin ich als Chimi, unser so abgerissen aussehender Küchenjunge, die Puja durchführt. Auf Nachfrage erfahre ich, dass er einst die Klosterschule besuchte und somit den höchsten religiösen Stand in unserer Gruppe hat.
Etwa eine Stunde sitzt er da, rezitiert murmelnd Gebete, dann kommen alle Teammitglieder dazu und setzen sich im Halbkreis hinter Chimi. Nun betet er laut, lässt uns mal Reis werfen und jeden im Gesicht mit Mehl „verzieren“. Dann dürfen wir von den Opfergaben essen und trinken, auch ein wenig Hochprozentigen bekommt jeder.
Leider hat sich das Wetter schon wieder verschlechtert und wir sehen uns gezwungen, den Aufstieg zu verschieben. Es ist allgemein unbeständig, mal fallen dicke schwere Flocken, dann sieht man im Schneesturm kaum die Hand vor Augen und es ist schwierig das nahe Zelt zu finden und 30 Minuten später scheint die Sonne – verrückt!
Wir verziehen uns ins Messzelt und schlagen die Zeit mit Lesen und DVD-Schauen tot. Gegen Abend wird es empfindlich kalt, ein gutes Zeichen. Da ist morgen nicht mit Schnee zu rechnen.
7.00 Uhr Frühstück, das Wetter ist besser. Wir scharren mit den Hufen, wollen los. Dan gibt „grünes Licht“, also packen wir unsere Sachen.
9.45 Uhr Aufbruch. Das es ernst wird merken wir spätestens daran, dass Chimi mit Opferreis vor dem Chörten steht. Jeder nimmt eine Handvoll und wirft es zum Turm, macht im Stillen und für sich seinen Frieden mit dem Berg. Ich bitte darum, dass uns der Berg gut hoch und wieder runter kommen lässt.
Wir umrunden den Chörten auf der linken Seite und marschieren los.
Zunächst klettern wir im blockigen Gelände viel auf und ab. Manchmal gleicht der Weg einem Labyrinth. Im großen Bogen erreichen wir nach einer Stunde die großen Eistürme, die sich langsam in der Mitte des Gletschers talwärts schieben. Eine Zeit lang gehen wir auf recht ebener Fläche an ihnen entlang, schwenken dann aber nach links in die felsige Flanke des Cho Oyu.
Oberhalb eines etwa 15m hohen, senkrecht abbrechenden Eiskliffs bauen wir unsere Zelte auf. Wir sind unmittelbar am Fuß des berüchtigten Killerhangs. Unsere Bleibe für eine Nacht nennen wir Camp 0.5 oder „Halfcamp“. Es liegt auf 5945m.
Den frühen Nachmittag verbringen wir ruhend im Zelt oder beobachten die Bergsteiger, wie sie sich den 300m hohen Hang emporquälen.
Schon 16.30 Uhr sind wir im Schatten und müssen uns dick anziehen. Schnell sinken die Temperaturen auf den Gefrierpunkt. 18.00 Uhr ist auch kein Sonnenstrahl auf den umliegenden Gipfeln zu sehen. Für wenige Minuten kann man die Konturen der umliegenden Felsen und Eistürme ganz scharf sehen, bevor das Licht Zusehens schwindet und alles erst blau und dann aschfahl wird.
Schon zeitig verziehen sich alle in ihre Schlafsäcke.
Wieder einmal konnte ich nur schlecht schlafen. Aber das ist ja normal in solchen Höhen. Gegen 8.00 Uhr treffen uns die ersten Sonnenstrahlen. Also pellen wir uns aus den Schlafsäcken, trinken Tee und quälen uns eine Schüssel Porridge rein. So richtig schmeckt mir das Zeug nie, ich esse es eher aus Gründen der Vernunft.
Bis 10.00 Uhr verbummeln wir den Tag, dann fällt die Entscheidung, in Camp 1 aufzusteigen. Wir packen, bauen die Zelte ab und schon eiern wir den Killerhang hoch. Es ist als wäre der ganze Berg lose aufgeschüttet. Mühsam macht man einen Schritt nach oben, um sofort mit all den kleinen und großen Steinen unter den Füßen wieder runter zu rutschen. Sisyphus!
Eine Stunde brauchen wir für den Hang, eine weitere durch die schneebedeckte Traverse bis ins Lager. Heute schlafen wir auf 6300m.
Chimi bringt Tee, später Nudelsuppe mit reichlich Knoblauch – ist lecker und wärmt.
Halb sechs ist die Sonne weg. In kürzester Zeit zeigt das Thermometer -10°C.
Jangbu hat heute schon mal die ersten 200m Fixseil angebracht. Vor ihm habe ich großen Respekt. Sein Leistungsvermögen übersteigt das Unsere bei Weitem.
Nachts bekommen wir Sturm, die Zelte halten aber stand.
Der heutige Tag ist zur Akklimatisation gedacht. Also lassen wir es gemütlich angehen.
Jangbu bringt uns den „Guten-Morgen-Tee“ ins Zelt. Meine Daunen Booties haben irgendwo ein Loch und lassen in der Nacht ihren Inhalt teilweise frei. So sehe ich jeden Morgen aus wie ein zerrupftes Huhn.
Es ist immer noch Sturm, aber der Himmel ist meist klar. Vormittags flaut der Wind ab. So haben wir die Gelegenheit, aus dem Loch für die Notdurft inmitten des Lagers sozusagen eine Dreisternetoilette zu bauen, mit Wind- und Sichtschutz.