In meinem geliehenen Zelt habe ich ausgezeichnet geschlafen. Das war in den vergangenen Jahren in größeren Höhen nicht immer so. Am Kili, meinem ersten Fast-Sechstausender, konnte ich 6 Nächte gar nicht schlafen.
7.00 Uhr ist Wecken. Alle frühstücken in ihrem Zelt. Gegen 8.00 Uhr beginnt das Aufstehen. Die Sonne scheint, doch es ist eisig. Der Gipfel der „Göttin des Türkis“ hüllt sich noch schüchtern in Wolken.
Camp 2 erreichen wir bei Sonnenuntergang. Sofort fällt die Temperatur auf –10°C. Mit nasskalten Fingern packe ich unser Zelt aus, als von Dan und Jangbu die Erlaubnis kommt, erneut fremde Zelte zu nutzen. Wir sind begeistert. Sofort richten wir uns ein und beginnen Schnee zu schmelzen. Heute ist James dran, den Vorratssack mit den kalten Brocken zu füllen. Ich bereite dafür noch bis 00.15 Uhr Tee und heißes Wasser als Vorrat. Die heutige Schlafhöhe von 7180m ist schon höher, als ich jemals gewesen bin. Erstaunlich für mich ist, dass ich noch immer ohne Kopfschmerz bin, freue mich natürlich darüber.
Ich hatte eine sehr unruhige Nacht, konnte einfach nicht in den Schlaf finden. Schon um 07.00 Uhr poltert Dan in unser Zelt, bringt uns zwei kleine Tüten mit irgendetwas zum Essen. Keine Ahnung was, ich hatte ja eigene Verpflegung mit. Heute gibt es gefriergetrockneten Milchreis. Der hat nur den Nachteil, dass die Reiskörner in dieser Höhe nicht mehr weich werden. Naja, knuspert es eben beim Essen.
Zunächst dösen alle noch in ihren Zelten. Heute wollen wir ja einen weiteren Ruhetag einlegen, den Körper Zeit lassen sich an die Höhe zu gewöhnen. Dann kommen die neuen Wetterberichte rein. Die Schönwetterphase (wie bitte? Wir haben doch schon Sturm, Schnee und Wolken!) ist fast vorbei. Es gibt zwei Möglichkeiten: Wir schlafen hier und steigen morgen ins ABC ab, oder wir steigen direkt auf ins Camp 3, um dann den Gipfel zu versuchen, das birgt aber Risiken.
Nach dem Mittagessen gehen wir los. Der Weg ist technisch ganz einfach, führt durch eine kleine Senke hinüber an den Hang und dann ziemlich gerade hoch zum Grat. Höhe und Steilheit, zusammen mit der Last auf dem Rücken verlangen uns aber alles ab. Alle brauchen unzählig viele Pausen zum Verschnaufen.
Am Grat ist Rast. Von hier laufen wir noch einmal 30 Minuten bis zum Lagerplatz auf 7555m, wir haben die Todeszone erreicht.
Die Zelte bauen wir genau auf den Gratrücken, dem einzigen einigermaßen sicheren Fleck. Dafür müssen wir mühsam Terrassen in den etwa 30° steilen Schnee graben. Auch hier leistet Jangbu wieder Unglaubliches.
Wir beziehen unsere Behausungen und schmelzen Schnee, trinken viel und essen ein wenig.
Heute teile ich mein Zelt mit Matti. Ich koche noch bis 22.30 Uhr und begebe mich dann endlich zur Ruhe, unruhig auf den morgigen Gipfelgang wartend.
Gerademal eine Stunde habe ich gedöst, Schlaf konnte ich keinen finden. Mitternacht ist Wecken. Sofort wirft jeder seinen Kocher an und macht sich Tee. Ich esse einen Schokoriegel, wirklichen Hunger habe ich keinen.
Um 02.00 Uhr brechen wir auf. Anfangs folgen wir dem 30° steilen Grat nach oben. Dann wird es steiler. Bald kommen wir an das erste markante Felsband. Eine fast senkrechte Wand aus Stein ist mit einer 1 cm dicken Eisschicht überzogen. Unangenehm, nirgends kann man den Pickel oder die Steigeisen einschlagen. Ich suche kleine Risse und Rippen zum Einhaken des Pickels und Aufstellen der Steigeisen. Das Rechte rutscht ab und lässt einen Funkenschwarm in der Tiefe verschwinden. Sieht toll aus, aber ich brauche dringend wieder Halt. Den finde ich und steige weiter nach oben.
Eine lange 45° steile Rampe führt uns hoch zum Plateau. Ich hoffe, oben an der Kante endlich den Gipfel sehen zu können. Der Weg zieht sich ewig hin. Immer wieder zwingt mich die dünne Luft zu Pausen. Als ich die Kante endlich erreiche, bin ich auf etwa 8000m. WOW! Nur vom Gipfel ist nichts zu sehen.
Das Plateau ist eine riesige nach rechts ansteigende Fläche. Ich folge einer gut sichtbaren Spur.
Nach einiger Zeit treffe ich eine kleine mir entgegenkommende Gruppe. Frage, wie weit es noch ist, und bekomme als Antwort: „noch 2 Stunden!“ Nun bin ich mir nicht mehr so sicher, ob ich es zum höchsten Punkt schaffe. Langsam gehe ich weiter.
Ein Stück später sehe ich wieder jemanden auf mich zukommen. Der Bergsteiger setzt sich und wartet. Logisch, auch ich ruhe mich oft im Schnee aus. Als ich ihn erreiche, stehen da jedoch nur 2 Sauerstoffflaschen. Ich hatte doch tatsächlich Halluzinationen durch den Sauerstoffmangel.
Später im ABC berichten Jan-Jilles und Matti (beide auch ohne zusätzlichen Sauerstoff unterwegs) auch Dinge gesehen zu haben, die gar nicht da waren. Ist schon kurios!
Der Tag nach dem Gipfel. Wir lassen es in Camp 2 gemütlich angehen, frühstücken in aller Ruhe und brechen erst 11.00 Uhr auf.
Mein Rucksack ist so irre schwer, ich kann mir nicht vorstellen, den nach unten zu tragen. Irgendwie schaffe ich es doch, aber meine Beine sind bleiern.
Zurück im ABC empfängt uns Chimi wieder mit heißem Saft, aber am meisten freue ich mich über einen Stuhl zum Setzen. Der hat mir echt gefehlt.
Eine wunderbare Tradition ist die Gipfeltorte. An dem Abend sind wir uns einig: Gewinner sind alle, die gesund wieder runter kommen.
Beim Aufstieg hatte ich vergessen, Sonnenschutz aufzulegen. So hat meine Nase Ähnlichkeit mit einer Tomate und die Lippen brennen höllisch. Sieben Zehen sind angefroren, aber nicht allzu schwer geschädigt. Diese Wehwehchen kenne ich schon vom Eisklettern. Ich wiege 5 kg weniger als vor der Expedition. Auch das wird nicht allzu lange andauern. Dann ist da noch ein blinder Fleck im Sehzentrum meines rechten Auges. Der beginnt mir Sorgen zumachen, als er wie das Jahr zuvor nach 2 Tagen nicht weg ist. (5 Wochen nach der Tour bin ich deswegen noch immer in Behandlung. Im Augeninneren sind Äderchen geplatzt, das kommt beim Höhenbergsteigen öfter vor und heilt wieder ab.)
Im Zwischenlager kommen unsere Sachen in einen LKW und wir fahren mit diesem bis ins BC und weiter im Offroader bis Tingri.
Nach dem Mittagessen geht es weiter bei Regenwetter bis Zhangmu, den letzten Grenzort. Noch einmal übernachten wir, diesmal in einem guten Hotel. Wir duschen ewig und feiern uns selbst.
Beim Abendessen treffe ich einen Bergfreund von 2011 in Kirgistan – toll!
Die Expedition zum Cho Oyu war das körperlich und mental Schwerste, was ich jemals gemacht habe, aber ich bin infiziert vom Bergsteigen, unheilbar und ich werde es wieder tun. Für kommendes Jahr plane ich einen 8000er in Pakistan. Schön neugierig bleiben!
Euer Lander